Zur Geschichte der BERNINA-Nähmaschinen

Der 1860 im deutschen Wahlwies (30 Km von Steckborn, jenseits des Untersees) geborene gelernte Mühlenbauer und Mechaniker Karl Friedrich Gegauf zog nach dem Tode seines Vaters Dr. Georg Gegauf als dreissigjähriger Mann in die Schweiz zur Arbeitsuche und fand bei der Stickmaschinenfabrik Baum in Rorschach eine Stelle als Monteur. Sein grosses Wissen und Können führte ihn bald in die Welt hinaus. Er war als Monteur für Baum tätig in vielen Ländern Europas und in Nordamerika. Hoch im Kurs standen damals die Monogrammstickmaschinen. Karl Friedrich Gegauf konstruirte in der Freizeit und nächtelangen Versuchen seinen eigenen speziellen Monogramm-Stickapparat, den man an bestehende Stickmaschinen montieren konnte, wodurch die Vorgänge vereinfacht und die Stickkapazität erhöht wurde. Doch weder sein Arbeitgeber noch andere Fabrikanten liessen sich von seiner Erfindung überzeugen.

Karl Friedrich Gegauf, von seiner Entwicklung überzeugt, verliess kurzerhand die Firma Baum. Er kaufte sich eine Stickmaschine, montierte seinen Stickapparat darauf und begann Tücher mit Monogrammen zu besticken, als Mustervorlage und Verkaufsargument. Damit konnte er die Fabrikanten von der Funktionalität seines neuen Produkts überzeugen.

 

Karl Friedrich zog mit seiner Familie in den (damals) kleinen Ort Tägerwilen am Bodensee, direkt gegenüber von Konstanz. Hier baute er seine Stickapparate nun auch für den Verkauf an Stickereien weltweit. Bald benötigte die Manufaktur mehr Platz, diesen fand K.F. Gegauf im ehemaligen, 1869 aufgelösten Zisterzienser-Nonnenkloster Feldbach in Steckborn, am Ufer des Untersees. Hier wurden Gewerberäume vermietet. In den neuen Hallen ging die Produktion der Stickapparate mit ca. 20 Mitarbeitern zügig voran. Interessanterweise war einer der ersten Hauptabnehmer die Stickerei Baum, Gegaufs früherer Arbeitgeber, der seine Erfindung – wir erinnern uns – erst mal ablehnte. Viele weitere Interessenten folgten, so dass die Firma langsam auch wirtschaftliche Erfolge erzielte.

Zu damaliger Zeit war es allgemein üblich und in Mode, Tisch- und Taschentücher, Bettwäsche, Unterwäsche usw. mit den Initialen (Monogramm) der Besitzer/in zu besticken und allerlei Textilien zu verzieren. Die Firma wuchs und so konnte Karl Friedrich seinen Bruder Georg, der Buchhalter und Kaufmann war, gewinnen, in den Betrieb als kaufmännischer Leiter einzusteigen.

Ein allgemeines Problem der Stickereien waren die Hohlsäume, die immernoch von Hand fabriziert wurden. Karl F. Gegauf wurde bei regelmässigen Treffen mit verschiedenen Fabrikanten mit diesem Problem vertraut. Seine Meinung: Hohlsäume sollten doch auch maschinell zu fertigen sein. Über Monate hinweg opferte Gegauf viele Abende und Nächte, die er mit Ausprobieren und Tüfteln verbrachte. Tagsüber war er regulär bei seinen Mitarbeitern im Betrieb beschäftigt.

Zuhause bei Frau und Familie fand Karl Friedrich die Ruhe, die ihm immer wieder die Kraft gab, die er in der Firma zur Umsetzung seiner Ideen benötigte.

Schliesslich gelang ihm die Konstruktion seiner Hohlsaumstickmaschine. Das Bundesamt für Geistiges Eigentum erteile ihm am 27. Februar 1892 das Patent Nr. 4670 für seine Erfindung, die weltweit eine textile Revolution auslöste. Von überall kamen Aufträge. Das aufstrebende Unternehmen war nun im Handelsregister als Maschinenfabrik Gebrüder Gegauf eingetragen.

 

Ein Unglück kommt selten allein

Im Jahre 1895 brannte das Kloster und die ganzen Einrichtungen und Fabrikationshallen wurden zerstört. Gegauf konnte nur noch den Prototypen seiner Hohlsaum-Maschine retten, alles andere wurde vernichtet. Die Gegauf-Brüder liessen sich von all dem nicht entmutigen, obwohl es für sie ein schwerer Schlag war. In einer Scheune an der Obertorstrasse in Steckborn wurde gleich weitergearbeitet. Bald zählte die Firma 70 Mitarbeiter. Die Scheune wurde längst durch weitere Fabrikationsräume erweitert. Mit den von Gegauf konstruierten Maschinen konnten allerlei Textilien in unzähligen Variationen verziert werden.

Georg Gegauf hatte vier Töchter und einen Sohn. Die Familie von Karl Friedrich Gegauf bestand inzwischen aus Vater, Mutter und den Kindern Ernst, Fritz, Gustav und Tochter Hilda.

Ernst und Fritz fielen dem Vater schon früh als Kinder mit starken Interessen an allerlei technischem auf . Beide Buben lernten vom Vater sozusagen spielerisch allerlei technische Grundlagen, die ihren späteren Berufsweg beeinflussten.

Im selben Jahr des Grossbrandes im Kloster war Karl Friedrich mit seiner Familie in eine neue grosse Wohnung an die Seestrasse ins “neue Schloss“ umgezogen. Nur vier Jahre später erkrankte seine geliebte Frau schwer, Sie stirbt am 13. Februar 1900 im Alter von nur 41 Jahren. Es hiess, Sie welkte wie eine schöne Blume. Die Kinder waren zu dieser Zeit noch nicht alle schulpflichtig. Gegauf verheiratete sich wieder, mit Maria Haug aus dem Schwarzwald. Sie war den Kindern eine liebevolle “Ersatzmutter“ und unterstützte auch Ihren Mann wo es eben ging.

Karl Friedrich Gegauf beantragte die Einbürgerung für sich und seine Familie, die er im März 1907 auch zugesprochen bekam. Nun waren sie Schweizer geworden.

 

1914 ein neuer Tiefschlag

In den folgenden Jahren produzierte K. F. Gegauf eine Menge neuer Maschinen und erlangte dafür etliche Patente. Dann kam das Jahr 1914, der erste Weltkrieg brach aus und geschäftliche Verbindungen zu ausländischen Partnern in Krieg führenden Ländern rissen fast vollständig ab. Schwierige Zeiten brachen an … und im Jahre 1917 zog sich sein Bruder Georg beim Schlittschuhlaufen auf dem gefrorenen Untersee bei einem Sturz einen Schädelbruch zu, dem er wenige Tage später erlag. Ein neuer Tiefschlag für Karl Friedrich, der damit nicht nur seinen Bruder, sondern gleichzeitig seinen besten Geschäftspartner verlor.

 

Die Wende Richtung BERNINA

Nach dem Tod von Georg wurde die Firma in Gegauf & Co. umbenannt. Karl Friedrich tüftelte und konstruierte mit seinen Söhnen weiterhin an neuen Maschinen. Die Familie des Verstorbenen wollte sich jedoch nicht mehr beteiligen. Karl Friedrich trat aus der Gegauf & Co. aus. Es wurde ihm per Vertrag das Recht zugesprochen, dass er weiterhin seine Hohlsaummaschinen bauen konnte. Er gründete am 17. Oktober 1919 seine eigene neue Fa. Fritz Gegauf. (Es gab nun eine gewisse Zeit zwei Gegauf Firmen in Steckborn.)

Fritz Gegauf jun. (geb.1893) hatte bereits am 31. März 1919 sein erstes Patent für eine neue Hohlsaummaschine (Mod. WOTAN) angemeldet, die er zusammen mit dem Vater entwickelt und konstruiert hatte. Die WOTAN wurde für die Firma Fritz Gegauf ein grosser Erfolg. Nach drei Jahren in Paris kehrte der Junior Fritz Gegauf 1923 wieder zurück in das Unternehmen seines Vaters.

 

Kunstseide erobert die Branche

Eine neue Ära begann. Plötzlich wurde im ganzen Land Kunstseide fabriziert. Mit der Borwisk Kunstseidenfabrik hielt 1923 die neue Industrie auch in Steckborn Einzug.

Karl Friedrich Gegauf ahnte, dass damit wahrscheinlich ein “wirtschaftlicher Feind“ auf ihn zukommt. Doch wie immer in seinem Leben ließ er sich auch davon nicht beeindrucken. Sobald die Fabrik in Betrieb war, ließ er sich die Abläufe vom Direktor zeigen.

Gegauf fiel auf, dass man das Unterbinden der Garnstrangen (fitzen genannt) viel effizienter, schneller und billiger erledigen könnte, wenn man dies maschinell erledigte. Der Direktor bejahte mit der Bemerkung ‘wenn man eine solche Maschine hätte‘. Karl Friedrich ging nach Hause und überlegte. Eine Woche später hatte er die Lösung im Kopf. Zusammen mit Sohn Fritz jun. erarbeitete er die Baupläne und Vorbereitungen zum Bau der neuen Fitzmaschine, ein im Gegensatz zu vorherigen Konstruktionen echt grosses Ding. Die Vorbereitungen dauerten an und 1926 war es soweit dass die Maschinen in Produktion gehen konnten.

 

Familiäre Veränderung

Leider erlebte der Vater Karl Friedrich den Produktionsbeginn seiner neuen Maschine nicht mehr. Er war im Laufe des Jahres an einem Magenleiden erkrankt, von dem er sich nicht mehr erholte. Er starb am 13. Dezember 1926. Jeder der drei Söhne blieb in irgendeinem Zweig mit Vaters Unternehmen verbunden.

Fritz junior, der in allem die Begabung des Vaters geerbt hatte, war ein ebenso genialer Erfinder, Konstrukteur und Unternehmer ersten Ranges. Ernst wurde Mechaniker und arbeitete unter anderem in Bielefeld, Berlin, und Frankfurt. In die Schweiz zurückgekehrt wurde er BERNINA-Vertreter in Amriswil, bis zu seinem Tod im Jahre 1966. Gustav, der jüngste der drei Brüder, war gelernter Werkzeugmacher mit Handelsschulabschluss. Im weiteren beschäftigte er sich mit Chemie, Mathematik und Physik. Von seinem Wohnort Konstanz kehrte er ein paar Jahre später zurück in das Unternehmen seines Bruders Fritz und übernahm die kaufmännische Leitung. Die Firma hiess jetzt Gegauf’s Söhne.

Fritz war der technische Leiter und als solcher auch als Nachfolger bestimmt. Zusammen führten die Brüder das Werk ihres Vaters weiter. Am 27. Juli 1927 konnte die erste Gegauf Fitzmaschine an die Kunstseidenfabrik abgeliefert werden. Auch Hohlsaummaschinen wurden weiter entwickelt. Wie der Vater so der Sohn. Fritz Gegauf präsentierte 1930 seine neue Hohlsaummaschine ‘FISA‘. Auch die Fitzmaschinen wurden dauernd verbessert. 15 Patente erlangte Fritz Gegauf dafür. Anfragen und Bestellungen aus der ganzen Welt verlangten nach mehr Platz. Voller Wagemut und in optimistischer Voraussicht ließen die Brüder Gegauf in Steckborn eine neue Fabrik errichten. Genau gegenüber dem alten Kloster im Feldbach Quartier, wo einst ihr Vater begonnen hatte. Am 5. April 1929 konnte die neue Fabrik bezogen werden. Alles schien für die Zukunft gerichtet, bis zum Oktober im selben Jahr.

 

Der schwarze Freitag

… an den New Yorker Börsen im Oktober 1929 brachte alles durcheinander. Innerhalb weniger Tage hatte Europa Millionen Arbeitslose. Die Nachfrage nach Hohlsaummaschinen nahm rapide ab. Fitzmaschinen waren noch aktuell und so verkaufte Gegauf Lizenzen zur Herstellung von Fitzmaschinen nach Italien, um an Geld zu kommen. Da sich nun auch ein französische Fabrikantengruppe an der Firma Gegauf beteiligte, wurde die Firma Im Juli 1931 in eine AG umgewandelt.

Doch bereits Ende des Jahres verfinsterten sich die Zukunftsaussichten erneut, sozusagen über Nacht. Durch eine technische Umstellung bei der Kunstseidenherstellung wurden nun auch die Fitzmaschinen überflüssig.

Eine arge Bedrohung für Fritz Gegauf, hatte er doch versprochen, Vaters Werk nicht nur weiterzuführen, sondern auch zu vermehren. Dazu gehörte auch, Arbeit für die Mitarbeiter zu beschaffen. Was sollte er also tun? Gut ausgebildete Leute waren da, auch eine neue gut ausgerüstete Fabrik war vorhanden.

 

Der dritte Mann (nicht der von Anton Karas)

Nun tritt ein Mann in Erscheinung, von dem man in allen anderen Chroniken und Berichten nie oder kaum was erfährt. Die Rede ist von Wilhelm Brütsch, geb. 1881, inzwischen Chef der Firma Brütsch & Co in St. Gallen. (siehe auch Turissa Geschichte) Wilhelm Brütsch war ein genialer, weithin bekannter und angesehener Maschinenkonstrukteur, der in früheren Jahren vor seiner Selbständigkeit in verschiedenen Betrieben im Ausland Maschinen entwickelt hat. So baute er z.B. die Adler Klasse 9-30, die Adler-Halbautomat Klasse 9-1 System Brütsch.(1911), eine der bedeutendsten Erfindungen auf dem Gebiet der Industriellen Rahmenstickerei. Auch die ersten ZickZack-Industriemaschinen, die mehr als 3000 Stiche pro Min. nähten, kamen von ihm Er war mit vielen weiteren Patenten einer der bedeutendsten Nähmaschinenkonstrukteure seiner Zeit.

Wilhelm Brütsch hatte damals in seinem Betrieb seinen einzigen Sohn Willi als kaufmännischen Geschäftspartner. Willi Brütsch, ein ebenso heller Kopf wie sein Vater und Fritz Gegauf jun. kannten sich von Jugend an sehr gut und waren beide von jeher mit Nähmaschinen vertraut. Oft saßen die beiden Familien Brütsch und Gegauf zusammen und Väter und Söhne diskutierten jeweils die aktuelle Lage am Maschinenmarkt.

 

Der neue Weg …

Die prekäre Wirtschaftslage erforderte neue Maßnahmen. Willi Brütsch und Fritz Gegauf kamen gemeinsam zu der Idee, zusammen eine neue Haushaltnähmaschine zu bauen. Es gab zwar schon die schweizerische Helvetia Nähmaschinenfabrik in Luzern. Sie waren jedoch der Meinung, dass es gut einen weiteren Hersteller vertrage, zumal aus dem Ausland jährlich gegen 20.000 Nähmaschinen in die Schweiz importiert wurden.

Um diesem Trend entgegenzuwirken und die eigenen Firmen zu stärken, wurde ein Entschluss gefasst. Vater Wilhelm Brütsch sollte mit Sohn Willi die neue Maschine konstruieren, produziert würde sie in der neuen Fabrik in Steckborn bei Fritz Gegauf.  Man einigte sich auf den neuen Markennamen BERNINA.  … und so geschah es, Brütsch konstruierte die erste BERNINA Haushaltsnähmaschine Klasse 105, die 1932 dem Publikum präsentiert wurde und von denen viele Tausend produziert wurden. 1938 folgte die erste Zickzack BERNINA Kl 117. Die beiden neuen Geschäftspartner schlossen einen Vertrag, welcher der Firma Brütsch & Co. auf unbestimmte Zeit das alleinige Vertriebsrecht der neuen BERNINA Nähmaschinen für die ganze Schweiz zusicherte. Welch grossartige Entwicklung die BERNINA erlebte, sehen wir in der Vielfalt ihrer Modelle, die in Qualität und Bedienbarkeit stehts erste Klasse waren. Nicht zuletzt darin, dass BERNINA der einzige überlebende, selbständige Nähmaschinenhersteller Europas bis heute geblieben ist.

 

Fritz Gegauf starb 1980. Seine Tochter Odette Ueltschi, die seit 1959 an der Seite ihres Vaters mitgewirkt hatte, übernahm 1979 als Präsidentin der BERNINA  Nähmaschinenfabrik Steckborn die Leitung der Firma. Sie übergab diese im Jahre 1988 an ihren Sohn Hanspeter Ueltschi, der das Unternehmen bis heute erfolgreich führt. Unter Hanspeter Ueltschis Führung wurde BERNINA mit all seinen Tochterunternehmen zu einer Holding. 1990 wurde in Thailand ein Werk zur Herstellung von Einzelteilen gebaut. Diese Teile kommen anschliessend in die Schweiz. Zusammenbau der Maschinen, Qualitäts- und Endkontrolle wird alles im Werk Steckborn in der Schweiz – dort sind rund 350 Mitarbeiter/innen tätig – durchgeführt. Einige Modelle im unteren Preissegment werden komplett im Werk Thailand produziert. Die Bernette Maschinen sind preiswerte Fremdprodukte die im Auftrag für BERNINA in Taiwan etc. produziert werden.

 

BERNINA ist die einzige Nähmaschinenfirma Europas (von ursprünglich weit über 200) die nach wie vor als eigenständiges Unternehmen das 21. Jahrundert erreicht hat. Auch BERNINA hatte manchmal schwierige Zeiten zu überstehen, aber sie überlebten als traditionelles Familienunternehmen bis heute, dank innovativer Köpfe und unaufhörlichem Unternehmergeist und meisterten dadurch alle Hürden und wirtschaftlichen Schwierigkeiten der letzten hundert Jahre.

 

Das wichtigste Merkmal des Erfolges ist bestimmt die stets extrem hohe Qualität ihrer Produkte und der Umstand, dass die Firma bis heute (2014) immer ein Familienunternehmen geblieben ist. Es bleibt den zukünftigen Generationen zu wünschen, dass auch sie dies beizubehalten vermögen.

 

Text: www.occaphot.ch

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